Ilse Somavilla: Malerei der Stille
Anna Maria Mackowitz‘ Bilder beeindrucken durch einen subtilen Umgang mit Farben, denen etwas Lichtvolles und eine Stille innewohnt, die zu beschreiben sich erübrigt, die gar nicht beschrieben werden kann.
Man wird an die Worte des Architekten Louis Kahn erinnert, der schrieb: „That which you desire and that which is available can be expressed in two words: Silence and Light.“
Es war einer der ersten Frühlingstage in diesem Jahr, als ich A. M. Mackowitz in ihrem Atelier im Saggen besuchte; die Sonne schien durch die Fenster in den tiefer gelegenen Raum, draußen blühten die Forsythien, deren leuchtendes Gelb durch die Sonnenstrahlen noch erwärmt wurde und ebenso den Bildern Licht und Wärme, ja etwas Frühlingshaftes, verlieh.
Dabei standen das Licht und die Stille einander gegenüber wie in einem Zwiegespräch, was durch die Schlichtheit der Bilder noch verstärkt wurde – durch deren Zurückhaltung, deren Reduzierung auf das Wesentliche, Allgemeingültige, doch individuell Erfahrbare.
Wie die „uralten Monde“, an denen die Stille und das Licht besonders zum Ausdruck kommen. Die Monde, die in ihrer Erhabenheit und ihrem Leuchten auf Ewiges hinweisen.
Das Staunen vor dem Kosmos zu bewahren, wie es bereits bei den Griechen der Antike der Fall war, ist ein Anliegen von Mackowitz. „Staunen über die Existenz der Welt“, wie Wittgenstein es in seinem Vortrag über Ethik ausdrückte und als sein Erlebnis par excellence erklärte – ein Satz, der im Tractatus mit den Worten „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist“, eine Entsprechung findet (TLP, 6.44).
Staunen über die Existenz der Welt impliziert eine ethische Dimension, und kann im alltäglichen Sprachgebrauch nicht verbalisiert bzw. verstanden werden. Ebenso birgt das Staunen über Farben und Töne eine Dimension, die allenfalls in der Kunst, niemals aber in der sogenannt „normalen“ Sprache ausgedrückt werden kann. Farben und Töne gehören zur „Existenz der Welt“, machen ihre Schönheit aus, doch werden sie ob ihrer Selbstverständlichkeit nicht mehr beachtet, so dass ein verbaler Ausdruck des Staunens über sie
uns „unsinnig“ erschiene. Sie jedoch staunend wahrzunehmen, liegt auf derselben Ebene wie das ethisch begründete Staunen über die Existenz der Welt, „daß sie ist“. Die Unmöglichkeit, diese Haltung zu verbalisieren, ist ähnlich der Unmöglichkeit, unser Empfinden beim Anblick von Farben und Tönen in Worten zu beschreiben.
Der Verzicht auf verbale Erfassung des nicht Erklärbaren und daher in der Sprache sich als im Wittgensteinschen Sinne „unsinnig“ Erweisende, scheint in Mackowitz‘ Auseinandersetzung mit Kunst ein wesentliches Thema, das sich in einer zunehmenden Tendenz zur Reduktion äußert. Während die Bilder der im Jahre 2017 stattgefundenen Ausstellung „Loop raum zwischen Erinnern und Vergessen“ zum Genozid der Armenier am Gang der Katholischen Fakultät der Universität Innsbruck mit dem Titel „Briefe der Ungesehenen“ malerisch, poetisch in Form und Farbe anmuten, sind die späteren Bilder häufig von geraden, nahezu strengen Linien geprägt, die trotz der Reduzierung an Formen und Farben nichts an Aussage verlieren. Im Gegenteil: sie vermitteln etwas nicht unmittelbar Zugängliches, dafür aber in der Tiefe Verborgenes, Geheimnisvolles.
Die Bedeutung von Mackowitz‘ Bildern liegt gerade darin, nicht erklärt werden zu müssen, sondern dem jeweiligen Betrachter die Möglichkeit zu geben, durch einen intuitiven Zugang sich sozusagen im Anblick der Bilder zu verlieren und diese aus sich, für sich sprechen zu lassen. Wie Mackowitz – in Anlehnung an eine Äußerung von Agnes Martin – betont, sei es nicht Aufgabe oder Zweck des Künstlers, zu erfreuen oder etwas mitzuteilen, sondern lediglich den Betrachter anzuregen, von sich aus im Kunstwerk etwas zu entdecken. In ähnlicher Weise drückte Wittgenstein im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen den Wunsch aus, Andere zu eigenen Gedanken anzuregen, anstatt ihnen das Denken zu ersparen.
Im Hinblick auf Mackowitz‘ Auseinandersetzung mit Farben, eine Bemerkung Wittgensteins, die mir zutreffend erscheint: „Farben regen zum Philosophieren an. […] Die Farben scheinen uns ein Rätsel aufzugeben, ein Rätsel, das uns anregt, – nicht aufregt.“1
Diese Anregung zum Denken sowie zur ästhetischen Betrachtung von Kunstwerken bedeutet im Grunde eine geistige Erneuerung, um der
es Mackowitz geht – im Gegensatz zu einer Selbstdarstellung, wie es bedauerlicherweise häufig der Fall ist.
Die geistige Erneuerung entwickelt sich beim Malen für die Künstlerin durch immer neue „Schritte ins Nichtwissen“ beim Auftragen von einer Farbe zur nächsten, die – ohne vorherigen Plan – dann miteinander kommunizieren. Im Wechselspiel von Ruhe und Bewegung, von Licht und Dunkel, wird das Pigment der Farbe zum Lichtträger.
Wie sich Sprache vom Denken zum Sprechen bis zum Niederschreiben entwickelt, verändert und zu neuen Einsichten führt, so bedeutet das Malen einen Prozess vom ersten Pinselstrich zum nächsten, wobei sich neue Zusammenhänge eröffnen, den Geist in Bewegung halten.
Die Auseinandersetzung mit Farbe in der Suche nach der Vielfalt an immer neuen Möglichkeiten von Farbtönen, Nuancen, Schattierungen ist von Unruhe begleitet, bis der eine Ton gefunden ist.
In seiner Lobrede auf den Herbst schreibt Kierkegaard:
Was ist Farbe? Das ist, was bedeutet Farbe? Farbe ist die sichtbare Bewegung und Unruhe, so wie der Ton die hörbare ist. [...] Farbe ist Gegensatz, aber Gegensatz ist Unruhe, Bewegtheit, selbst wenn zwei Gegensätze noch so still einander gegenüberstehen, dies, daß es Gegensätze sind, ist Unruhe. So der Sommer, er ist Ruhe. Aber dann kommt der Herbst und mit dem Herbst die Leidenschaften, und mit den Leidenschaften die Unruhe, und mit der Unruhe die Farbe, und mit der Unruhe der Leidenschaft das Verändern und Wechseln der Farbe.[...]2
Geistiger Erneuerung liegt eine ethische Haltung zugrunde und diese findet in der Bereitschaft zu steter Änderung der Sicht- und Denkweise als auch in der vorhin erwähnten Reduktion auf das Wesentliche ihren Ausdruck.
Wie in der Sprache ein Weniger oft mehr sein kann, die Aussage durch Vereinfachung und Präzision umso deutlicher wird und einen ergreift, so berühren Mackowitz‘ Bilder durch ihre Schlichtheit und Authentizität: „Simplex sigillum veri“, so formulierte es Oswald
Ockham, oder, um mit Wittgenstein zu sprechen, habe sich der Künstler am Gesichtspunkt sub specie aeternitatis zu orientieren. 3
„Stil ist der Ausdruck einer allgemein menschlichen Notwendigkeit. Das gilt vom Schreibstil wie vom Baustil (und jedem anderen). Stil ist die allgemeine Notwendigkeit sub specie aeterni gesehen“, so vermerkte er 1930 in seinem Tagebuch.4
Dass diese Forderung eine ethische ist, geht bereits aus den frühen Tagebüchern Wittgensteins hervor, wo er den Zusammenhang zwischen Kunst und Ethik unter dem Gesichtspunkt sub specie aeternitatis thematisiert. Dort heißt es:
„Das Kunstwerk ist der Gegenstand sub specie aeternitatis gesehen; und das gute Leben ist die Welt sub specie aeternitatis gesehen. Dies ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Ethik. “ (TB, 7.10.2016)
Der Satz aus dem Tractatus „Ethik und Ästhetik sind Eins“ (TLP, 6.421)
findet in Wittgensteins Schriften deutlichen Ausdruck: Inhaltlich in der Distanzierung von wissenschaftlich nicht beweisbaren Aussagen über Fragen der Metaphysik, daher deren Ausklammerung aus dem philosophischen Diskurs, formal in der Reduzierung sprachlicher Mittel auf ein Minimum, dafür Konzentration auf Wahrhaftigkeit, Klarheit, Transparenz.
Wittgensteins Forderung an eine ethische Grundhaltung im Werk eines kreativ Tätigen sah er u.a. in den Gedichten von Georg Trakl erfüllt, deren Ton er zwar nicht verstünde, doch der ihn als der Ton der wahrhaft genialen Menschen beglückte, wie er in einem Brief an Ludwig von Ficker schrieb.5
Wittgenstein enthielt sich einer theoretischen Auslegung, es kam ihm auf den Ton an, das Sprechen des Kunstwerks im Sinne eines impliziten Zeigens.
„Wenn man sich nicht bemüht das Unaussprechliche auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern das Unaussprechliche ist, – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten!“, so Wittgenstein in einem Brief an Paul Engelmann.6
Denn in der Kunst sei „es schwer etwas zu sagen, was so gut ist wie: nichts zu sagen“7, womit er seiner Auffassung von Philosophie nahe kam, deren Schwierigkeit er darin sah, nicht mehr zu sagen, als was wir wissen.8
In diesem Sinne laden Mackowitz‘ Bilder uns ein, inne zu halten, um durch deren Ton der Farbe, der Stille und des Lichts berührt zu werden.
Abschließend noch ein Zitat Wittgensteins, das mir in diesem Rahmen zutreffend erscheint:
„Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint & ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte, Bedeutung bekommt.“9
Oder, wie es im Tractatus heißt:
„Sie [die Philosophie] soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen.“ (TLP, 4.114)
Auf die Malerei übertragen, hieße dies, das nicht Darstellbare von innen durch das Darstellbare zu begrenzen.
Innsbruck, im Mai 2019 Ilse Somavilla
1 Ludwig Wittgenstein, 11.1.1948, in: Vermischte Bemerkungen, hg. von G.H. von Wright unter Mitarbeit von Heikki Hyman, Neubearbeitung des Textes durch Alois Pichler (Frankfurt: Suhrkamp, 1994), S. 130.
2 Vgl. Sören Kierkegaard, "Lobrede auf den Herbst", aus dem Dänischen von Walter Methlagl, in: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift, 24. Jg., Heft 47 (Innsbruck: Haymon Verlag, Frühjahr 1990), S. 4646-4647.
3 Laut Spinoza bedeutet die Betrachtung sub specie aeternitatis die höchste Stufe der Erkenntnis, die sowohl eine der Vernunft als auch anschaulich bzw. intuitiv ist (vgl. Baruch de Spinoza, Die Ethik. Schriften. Briefe, hg. von Friedrich Bülow, Stuttgart: Kröner Verlag, 1976).
4 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Denkbewegungen. Tagebücher 1930-1932/1936-1937, hg. von Ilse Somavilla (Innsbruck: Haymon, 1997), S. 28.
5 Vgl. Wittgensteins Brief an Ludwig von Ficker vom 28.11.1915 (Poststempel), in: Briefe an Ludwig von Ficker, hg. von G.H. von Wright unter Mitarbeit von Walter Methlagl (Salzburg: Otto Müller Verlag, 1969), S. 22.
6 Vgl. Wittgensteins Brief an Paul Engelmann vom 9.4.1917 in; Wittgenstein – Engelmann. Briefe, Begegnungen, Erinnerungen, hg. von Ilse Somavilla unter Mitarbeit von Brian McGuinness (Innsbruck: Haymon, 2006) S.24.
7 Vgl. Vermischte Bemerkungen, S. 56.
8 Vgl. Das Blaue Buch (Das Braune Buch, in: Ludwig Wittgenstein. Werkausgabe in 8 Bänden, Band 5 (Frankfurt: Suhrkamp, 1991), S. 75.
9 Vermischte Bemerkungen, S. 52.